Folge 095: Die mühsame Überwindung eines gesundheitlichen Tiefpunkts

Ende 2014 spürte Boris Guentel einen drastischen gesundheitlichen Abbau. Das ging so weit, dass er kraftlos aus dem Rollstuhl fiel und hilflos davor liegen blieb. Der ehemalige selbstständige Reha-Techniker, der seine Behinderung einem unverschuldeten Unfall, Krankheit und Schlaganfall zu verdanken hat, entschloss sich, beim Kostenträger ein Handbike zu beantragen. Als ehemaliger Sportler wusste er, wie sehr die mangelnde körperliche Betätigung zu seinem gesundheitlichen Verfall beiträgt, und hatte außerdem aufgrund der manuellen Fortbewegung mit dem Rollstuhl schon lange unter massiven Schmerzen zu leiden.

Die Hoffnung liegt im Handbike

Das Handbike ist ein Rollstuhlzuggerät – es wird vor dem Rollstuhl montiert und wie ein Fahrrad fortbewegt, wobei hier die Hände und die Kraft der Arme genutzt werden. Boris Guentel stellte fest, wie sich seine Gesundheit immer mehr verschlechterte. Schließlich war es so schlimm, dass er einfach aus dem Rollstuhl rutschte, mit Schwindel und Orientierungsverlust davor lag, sich nicht mehr selbst helfen konnte.

Zudem schmerzten Schultern und Nacken immer stärker, was auf die unnatürliche Belastung bei der manuellen Fortbewegung des Rollstuhls zurückzuführen war: „Nach 300 Metern stieg die Schmerzkulisse derart an, dass die Pausen dann immer länger wurden“. Als Sportbegeisterter war sich Boris Guentel bewusst, wie wichtig körperliche Betätigung für ihn war – allerdings eine gesundheitsfördernde und nicht wie im manuellen Rollstuhl derart „unphysiologische Fortbewegungsweise, für die der menschliche Körper eigentlich gar nicht gemacht ist“, führt Guentel aus. Er wollte seine Gesundheit wieder stabilisieren und setzte dabei alle Hoffnung in das Handbike. Als ehemaliger Reha-Techniker wusste er um die positiven Auswirkungen auf den Körper.

Antragstellung und Ablehnung

Im Oktober stellte Boris Guentel den Antrag beim Kostenträger. Zunächst wurde er hingehalten oder mit schwammigen Argumenten abgefertigt. Ein E-Rollstuhl sollte ihm stattdessen zur Verfügung gestellt werden. Immer wieder folgte der Griff zum Telefon mit dem Versuch der Erklärung, warum er das Handbike benötige. Er argumentierte mit den positiven gesundheitlichen Effekten, dass möglicherweise mittel- bis langfristig Medikamente eingespart werden könnten, dass körperliche Betätigung der Fortbewegung mit einem E-Rollstuhl vorzuziehen sei. Sämtliche Überzeugungsversuche schlugen fehl – Boris Guentel erhielt eine Ablehnung. Diese enthielt die Begründung, dass man ein derartiges Rollstuhlzuggerät bei Erwachsenen nicht bewilligen dürfe.

Mobilisierung der letzten Kraftreserven

Gesundheitlich war der Rollstuhlfahrer schon im Keller, wie er es selbst bezeichnet. Er mobilisierte alle verfügbaren Kraftreserven, wollte wieder auf die Höhe kommen, und bereitete sich auf einen Widerspruch vor. Dabei kam ihm seine einstige Tätigkeit als Reha-Techniker zugute. Außerdem führte er Gespräche mit Handbikern, anderen Reha-Technikern und Ergotherapeuten, las sich ausführlich in das Thema ein und informierte sich über die Rechtsprechungen der vergangenen Jahre. Das Hauptargument des Kostenträgers, ein Handbike sei wenn überhaupt für Kinder und Jugendliche zu genehmigen, keinesfalls aber für Erwachsene, da ein Fahrrad kein Grundbedürfnis sei, war inzwischen durch verschiedene Gerichtsurteile widerlegt. Diese erkannten die gesundheitsfördernden Aspekte an. So verfasste er schließlich einen Widerspruch von neun Din A4-Seiten Länge, in welchen er sämtliche gesammelten Informationen und Argumente einbrachte. Ende März wurde sein Hilfsmittel schließlich genehmigt.

Etwas richtig Großes machen

Noch bevor Boris Guentel den Widerspruch einlegte, war ihm klar: „Wenn ich das jetzt überstehe, will ich noch mal was richtig Großes machen“. Er sah das Handbike als therapeutisches Mittel, aber auch als Möglichkeit, sich selbst etwas zu beweisen. Nebenbei konnte er seine Gesundheit stabilisieren. Nachdem das Handbike, eine Standardausführung, in der Konstruktion fachgerecht auf seine individuellen Bedürfnisse eingestellt und straßenverkehrstauglich gemacht war, fuhr er gleich elf Kilometer damit. Er recherchierte, ob es bereits Menschen gab, die damit längere Strecken zurückgelegt hatten, und stieß auf einen, der 112 Kilometer mit dem Handbike bewältigt hatte. Der Sportsgeist regte sich: „Daraus musst du irgendwas machen“. Das Ergebnis waren noch im Jahr 2015 über 300 am Stück zurückgelegte Kilometer von Cloppenburg nach Kappeln an der Schlei.

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