Folge 094: Barrierefreiheit als Steckenpferd

So bezeichnet Boris Guentel seine ehemalige Tätigkeit als Vorsitzender des Behindertenbeirats der Stadt Cloppenburg und seinen Einsatz in verschiedenen Projekten. Selbstverständlich leiten ihn als Betroffenen auch praktische Motive, denn der Rollstuhlfahrer sieht sich täglich mit Hindernissen konfrontiert, die Behinderten eine eigenständige Bewältigung des Alltags erschweren beziehungsweise unmöglich machen. Hinzu gesellt sich die Diskriminierung, der Betroffene immer wieder ausgesetzt sind.

Vorsitzender des Behindertenbeirats

Dieser existiert in Cloppenburg bereits seit 1998. Man habe auch etwas getan, erkennt Boris Guentel an, aber: „Für mich ist immer eine gute Arbeit, die man auch sehen kann“. Dazu zählen unter anderem Blindenleitlinien, Bordsteinabsenkungen, Fahrstühle und Rampen. Seine Wahl in das Gremium erkennt er als Chance, diesbezüglich etwas zu bewegen, Behinderten den Alltag zu erleichtern. Dazu zählt auch, etwas gegen Diskriminierung zu tun.

Gegen Diskriminierung Behinderter

„Barrierefreiheit fängt in den Köpfen der Menschen an“ betont Boris Guentel und bezieht sich dabei auf reine menschliche Empathie, aber auch auf die UN-Behindertenrechtskonvention. Er beanstandet unter anderem nicht behinderte Autofahrer, die vor Geschäften straffrei Behindertenparkplätze belegen, obwohl die Rechtslage eindeutig ist. Behindertenparkplätze sind mit 3,50 Metern schön breit, erläutert Guentel, was seinen Grund hat. Ein Rollstuhlfahrer benötigt diesen Platz, denn er muss zum Aussteigen die Tür ganz öffnen, eventuell muss ein Verladesystem bedient werden, der Rollstuhl muss aus dem Fahrzeug gehievt und fahrbereit montiert werden können. Selbst die Presse im Oldenburger Land war der Ansicht, ein Abschleppen oder anderweitige Maßnahmen gegen nicht behinderte Falschparker sei unangemessen. Man wolle die Kunden der Geschäfte nicht mit Knöllchen belästigen, vermutet Boris Guentel und führt den Gedanken weiter: „Sind wir als Betroffene keine Kunden?“

In Diskotheken, führt er als Beispiel an, würde Rollstuhlfahrern als Behinderten gelegentlich der Eintritt verwehrt. In einem solchen Fall suchte er als Vorsitzender des Behindertenbeirats das Gespräch mit den Betreibern und erkundigte sich nach den Gründen, um zugleich darzulegen, dass Menschen mit Behinderung vollwertige Mitglieder der Gesellschaft sind.

Sensibilisierung gegenüber behinderten Menschen

Eine Behinderung kann jeden unvermutet treffen, weiß Boris Guentel aus eigener Erfahrung – sein Schicksal wurde dem ehemaligen Reha-Techniker durch einen unverschuldeten Unfall, einer lebensbedrohlichen Lungenerkrankung und Schlaganfall beschert. Um die Politik, Behörden und die Gesellschaft für die Probleme Behinderter zu sensibilisieren, darauf aufmerksam zu machen, dass es sich um ganz normale Menschen mit ganz normalen Rechten handelt und sich für diese einzusetzen, hat er verschiedene Projekte ins Leben gerufen. Das Motto lautet: Information, Geselligkeit und praktische Arbeit.

Das „Aktionsbündnis barrierefreier Alltag“ organisiert in Zusammenarbeit mit  Verbänden, Selbsthilfegruppen und anderen Einrichtungen informative Veranstaltungen, die für jeden Menschen offen sind. Hier haben auch nicht Behinderte die Möglichkeit, sich einmal in einen Rollstuhl zu setzen und einen Parcours abzufahren. So stellen viele Menschen schnell fest, mit welchen unüberwindbaren Hindernissen Rollstuhlfahrer im Alltag konfrontiert werden. Mit speziellen Brillen können Sehschwächen oder Blindheit simuliert werden – auch dies sei eine einschneidende Erfahrung, die viele Köpfe zum Nachdenken anrege, weiß Boris Guentel.

Der „Stammtisch barrierefreier Alltag“ dient der Geselligkeit Behinderter aller Art und nicht Behinderter. Er findet monatlich in einer ganz normalen Kneipe statt und zeigt einerseits, dass Behinderte zum Stadtbild gehören, andererseits haben hier alle Gelegenheit zum Austausch.

Die „Arbeitsgemeinschaft barrierefreier Alltag“ schließlich ist in praktischer Hinsicht tätig und greift konkrete Probleme wie Falschparker auf Behindertenparkplätzen oder Bordsteinabsenkungen auf.

Barrierefreiheit muss nicht teuer sein

Boris Guentel macht darauf aufmerksam, dass Barrierefreiheit nicht ausschließlich ein Thema für Menschen mit Behinderung ist, sondern auch andere Gesellschaftsgruppen wie Senioren oder Mütter mit Kinderwagen betrifft. Häufig bringen Verantwortliche das Kostenargument. „Dabei kann man mit vielen kleinen Sachen sehr viel erreichen“, klärt der ehemalige Reha-Techniker auf. Oft können Kompromisse eingegangen werden und manchmal genügen wenige Mittel und helfende Hände für eine Bordsteinabsenkung. Andere Dinge sind natürlich kostenintensiver – aber umsetzen lässt sich unabhängig davon immer etwas.

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