Neun Jahre. So lange hat es gedauert, bis Frau Müller sagen konnte: Ich gestalte mein Leben wieder selbst. Neun Jahre voller Kämpfe, Rückschläge und Unsicherheiten – aber auch voller Mut, kleiner Erfolge und neuer Wege. Dieser Beitrag erzählt ihre Geschichte. Und er soll anderen Unfallopfern zeigen: Auch wenn der Weg weit ist – es lohnt sich, ihn zu gehen.
Frau Müller erlitt unverschuldet einen schweren Unfall, auf dem Heimweg von der Arbeit. Der Schädiger war bekannt, die gegnerische Haftpflichtversicherung war eingebunden. Nach der akuten Versorgung folgten Monate in einem neurologischen Reha-Zentrum – auf Kosten der Berufsgenossenschaft. Die Diagnose: ein schweres Schädelhirntrauma, das kognitive Einschränkungen mit sich brachte. Der Grad der MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) wurde später auf 30 festgelegt. Leider war später auch klar: Eine Rückkehr in den alten Job war unwahrscheinlich. Lange Praktika und Probearbeiten führten nicht zu einer dauerhaften beruflichen Wiedereingliederung.
Zwischen Hoffnung und Frust: Wenn Systeme nicht helfen können
Somit scheiterte trotz aller Bemühungen leider die BG mit ihren Versuchen, Frau Müller beruflich wieder einzugliedern. Die Haftpflichtversicherung beauftragte später einen externen Reha-Dienstleister, doch Frau Müller lehnte dessen Hilfe nach Jahren ab. Sie hatte inzwischen selbst eine geringfügige Beschäftigung im sozialen Bereich gefunden. Sie arbeitete dort sieben Stunden pro Woche – ein kleiner, aber für sie bedeutsamer Schritt.
Doch das war nur ein Teil des Weges. Ihr eigentliches Ziel war die Erwerbsminderungsrente. Sie wollte rechtlich anerkannt bekommen, was sie längst fühlte: dass ihre Leistungsfähigkeit eingeschränkt war. Doch trotz mehrerer Gutachten lehnte das Sozialgericht ihren Antrag ab. Begründung: Sie sei in der Lage, mehr als sechs Stunden pro Tag auf dem ersten Arbeitsmarkt zu arbeiten.
Der Wendepunkt: Neue Wege durch gezieltes Rehamanagement
Parallel dazu begleitete eine Praxis für Neuropsychologie Frau Müller über Jahre hinweg. Doch trotz der langen Therapie blieben spürbare Fortschritte aus. Als nach einem Reha-Neustart der Blick auf ihre Gesamtsituation erneut geschärft wurde, stellte sich die Frage: Wofür genau läuft diese Therapie eigentlich noch? Eine Frage, die unbequem war – aber notwendig.
Denn dann kam ein Wendepunkt. Rehamanagement-Nord übernahm die Koordination. Gemeinsam mit dem NRZ Friedehorst wurde eine neue Rehamaßnahme geplant – stationär und später teilstationär. Ziel war, Frau Müllers berufliche Belastbarkeit realistisch einzuschätzen und gezielt zu fördern. Im Rahmen eines Arbeitstrainings, in dem auch die Arbeitswege integriert wurden, konnte Frau Müller ihre Arbeitsstunden Stück für Stück steigern. Am Ende stand eine klare Bewertung: Frau Müller war nun in der Lage, bis zu 20 Stunden pro Woche zu arbeiten.
Ein Leben in eigener Hand: Selbstbestimmt trotz Einschränkungen
Aber das war nicht nur ein medizinischer oder arbeitsrechtlicher Erfolg. Es war ein persönlicher Triumph für Frau Müller, dass doch noch etwas geht. Wenn auch nicht, wie das Sozialgericht sich das vorstellt. Frau Müller hatte im Laufe der Monate so viel Selbstvertrauen gewonnen, dass sie selbst mit ihrem Arbeitgeber verhandelte – mit Erfolg. Heute hat sie eine unbefristete Stelle mit 18 Wochenstunden. Fast das Reha-Ziel. Fast ihr Ziel.
Sie ist jetzt nicht mehr nur Patientin von Therapeutinnen und Therapeuten. Sie ist wieder Gestalterin ihres eigenen Lebens. Das Team des NRZ Friedehorst steht ihr weiter zur Seite – als Ansprechpartner, nicht als Bevormunder. Und klar ist auch: Diese Entwicklung hat Veränderungen im privaten Umfeld notwendig gemacht. Neue Routinen, neue Grenzen, neue Prioritäten. Doch all das ist Teil eines selbstbestimmten Lebens. Dieser für Frau Müller positive Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen.
Denkanstoß für andere Unfallopfer:
Du hast das Recht, Fragen zu stellen. Du darfst infrage stellen, was lange als gegeben galt. Du darfst „Nein“ sagen – zu Therapien, die dich nicht weiterbringen. Und du darfst „Ja“ sagen – zu einem Neustart, auch Jahre nach dem Unfall. Selbstbestimmung ist kein Luxus. Sie ist ein Grundrecht.